Schlechtes Gewissen
1960 kostete ein Strassenbahnfahrschein 1,30 Schillinge fuer eine
Einzelfahrt.
Ich bekam.als Lehrling den Auftrag 3 Masshemden mit Monogramm
an eine Adresse irgendwo im 18. oder 19.Bezirk zu liefern.
Dafuer gab man mir abgezaehlte 3,90 Schillinge fuer 3 Fahr-
scheine.Zwei fuer die Hinfahrt,1 fuer die Rueckfahrt.
Die zwei alten Damen,von wo ich die Hemden abholen musste,
waren 4 Strassenbahnstationen entfernt.
Da ich sportlich war,sparte ich den Fahrschein ein und legte den
Weg auf Schusters Rappen zu den Damen zurueck.
Danach loeste ich einen Fahrschein und fuhr mit den 3 Hemden,
die in weisses Packpapier eingeschlagen waren,mit der Linie 49,
weiter mit Linie 18 und endlich mit dem Bus,bis Naehe der Liefer-
adresse.
Das letzte Stueck musste ich zu Fuss bergauf gehen.Rechts von
der Strasse standen einige alte Villen,links freie Grundstuecke,von
wo aus man einen herrlichen Ueberblick auf Wien hatte.
Bei einem Grundstueck stand "ZU VERKAUFEN 1.300 m2".
Bei der angegebenen Adresse laeutete ich und in der Tuer erschien
erst ein schwarzer Hund,dann eine fuellige aeltere Dame,die offen-
sichtlich als Haushaelterin/Koechin angestellt war.
Sie nahm mir das Paket ab und frug mich,ob ich etwas trinken
wolle.
Ja,gerne sagte ich und dachte an eine eiskalte Cola,waehrend sie
an ein Glas Wasserleitungswasser dachte.
Sie bat mich in die Kueche und dabei erhaschte ich einen Blick in
den Salon/Wohnzimmer.
Mein Gott,da war ein Geruempel alter Moebel.
Thonetstuehle,Perserteppich und anderes Mobilar aus der Jugend-
stilzeit.
Waere ich Besitzer dieser Villa,wuerde das alles beim Sperrmuell
landen und ich wuerde mich modern einrichten.
Die Kueche in verschiedenen pastellfarbenen Kaestchen,im Wohn-
zimmer einen nierenfoermigen,dreibeinigen Couchtisch und das
Sideboard aus Teakholz u.s.w.
Wenn schoen Taefelung,dann aus hellem Kiefer.
Zum Abschied bekam ich ein fuerstliches Trinkgeld ( 5 Schilline)
und ich machte mich auf den Heimweg.
Ploetzlich hatte ich Zeit.Bei dem zum Verkauf stehenden Grund-
stueck ueberlegte ich kurz,es zu kaufen.Aber dann kamen mir Be-
denken,ob ich die Rueckzahlungsraten von meinem monatlichen
Einkommen von 400 S,stemmen kann und verwarf den Gedanken.
Bei der Busstation angekommen,sah ich dass dieVerkehrsinter-
valle 20 Minuten sind,worauf ich den ersten Buss ohne mich fahren
liess,
Ebenso beim Umsteigen bei den Strassenbahnen.Ich hatte ja Zeit
und liess alle anderen Fahrgaesten den Vortritt.
Als ich endlich bei meiner Firma ankam,war es nicht mehr weit zum
Betriebsschluss und ich vergass,die 1,30 Schillige fuer den nicht
gekauften Fahrschein abzugeben,
Das raechte sich bitterlich.
Immer wieder meldete sich das schlechte Gewissen,fallweise auch
dann,wenn ich bei einer jungen Dame genusswerkelte.
Es wurde mir klar,dass durch mein frevelhaftes Verhalten das
Himmelstor fuer ewig versperrt bleibt.
Aber vielleicht geht es sich fuer das Fegefeuer aus,wenn ich taetige
Reue zeige und Wiedergutmachung versuche.
Bevor ich nach Thailand ging wollte ich da reinen Tisch machen
und nahm mir vor 20 Eurocent anonym bei der Firma abzugeben.
Aber dann erfuhr ich,dass die Firma schon seit 15 Jahren in den
Konkurs gegangen ist.
Damit wurde mein schlechtes Gewissen groesser.
Es kann ja sein,dass die fehlenden 1,30 Schillige der Anfang fuer
den Niedergang des Unternehmens der Ausloeser waren.
Ich werde mein Leben lang wohl mit schlechten Gewissen leben
muessen.
Jock